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Meltemi - Tag 15: Bordbuch der Meltemi, "Streckbug"



Sonntag, der 2. Advent. Christstollentag. Es hat sich tatsächlich die ganze Woche niemand an den Kuchen herangetraut, so das wir wieder im Schatten unseres Weihnachtsbaumes (Höhe ca 15 cm) ein Stück heimatliche Kultur pflegen können. Draußen scheint im Prinzip die Sonne, aber außerhalb des Prinzips ziehen immer wieder Squalls durch und lassen uns patschnass zurück. Meist schleichen sie sich von hinten oder der Seite heran, plötzlich frischt der Wind auf und statt 14 - 15 haben wir - zack - ca 25, gelegentlich bis über 30 Knoten Wind (wahrer). Da heißt es flugs reffen - könnte ja noch schlimmer werden - und den Vor-Wind-Kurs, auf dem wir nun segeln seit wir uns von der afrikanisachen Küste gelöst haben, den drehenden Winden anpassen. Nur ja keine Patenthalse, und wenn der Seegang hoch ist wie gestern, schon gar nicht quer zu den Wellen kommen - querschlagen, wie der Seemann sagt.

Nach ca 30 Minuten ist der Spuk vorbei, und wir reffen wieder aus. Soll uns ja nicht langweilig werden hier. Die Klamotten trocknen schnell in der Sonne, aber das ist eigentlich nur die Vorbereitung auf die nächste Dusche...

Gestern hat uns eine erwischt, die verdient besondere Erwähnung. Ich drehte mich nachmittags wieder einmal routinemäßig um - und rief nur laut: "Da. Schaut mal. Irre. Was da kommt!" Ca 1 sm entfernt, schräg von achtern, ein einmaliges Naturschauspiel: Platzregen, dicht wie ein Theatervorhang, darunter völlig glatte See, wie eine Theaterbühne zwischen dem umgebenden bewegten Seegang. Über dieser Fläche ein gelblich-ockerfarbener Lichtteppich, faszinierend und zugleich bedrohlich wirkend. Ich kann meine Augen gar nicht davon lösen. Als uns erste kleine Tropfen treffen als Vorboten dessen, was sich da auf uns zu bewegte, drehe ich mich um - und blicke auf die Rücken meiner beiden Wachkameraden, die fluchtartig das Cockpit verlassen. Ich brülle kurz hinterher: "Macht schnell! Zieht euer Ölzeug an und kommt zurück so schnell ihr könnt!" Dann greife ich mir die Genuaschot, kurzer Blick zum Steuermann, fiere sie zwei Meter, dann 'rüber auf die Steuerbordseite, greife
mir die Holeleine der Genua und hole sie über die Winsch von Hand dicht so fix es geht. Erst jetzt stelle ich fest, daß ich bereits bis auf die Haut durchnäßt bin...

Nach dem reffen mache ich den Niedergang wieder auf, und da stehen sie, meine Mitsegler, in voller Schlechtwettermontur. Ich lasse sie grinsend vorbei. Draußen verziehen sich bereits die letzten Tropfen und zwischen den Wolken schaut die Sonne hervor. Zu spät! ;-))

An dieser Stelle habe ich mir überlegt, einmal zu berichten, wie es einem so geht auf dem Atlantik - einmal abgesehen von den Bordgeschichten, den Etmalen etc. Als ich mich dafür entschied, diese Fahrt nun endlich zu machen, ging es mir v. a. um die Langfahrt-Erfahrung. Einmal über den Teich, welchen Segler beschleicht nicht irgendwann diese Sehnsucht. Dann kamen andere Dinge hinzu - wie wird man sich fühlen, 1.000 sm nach achtern kein Land, 1.000 sm nach vorn kein Land, 5.ooo m unter uns nur Wasser. 20 - 25 Tage auf einer Segelyacht, keiner kann weg. Das ewige nicht enden wollende Schaukeln und/oder Stampfen, immer irgendwo festhalten, jeder Toilettengang eine Turnübung. Keine Pause. Wie würden sich tagelanger Sturm oder das Gegenteil: Flaute, auf Gemüt und Kondition auswirken? Fragen, Fragen, Fragen...

Nun, um es vorwegzunehmen: An das Leben auf schwankendem Boden gewöhnt man sich. Ja, auch jetzt nach zwei Wochen noch, fällt man plötzlich gegen eine Wand. Schießt ein paar Schritte durch den Salon, bis man etwas zum Festhalten erreicht hat, und sei es die breite Brust eines Mitseglers. (So kommt es immerhin zu großer gegenseitiger Nähe an Bord.) Flucht, wenn man den Tee oder Kaffee schon wieder über den breiten Schlund der Tasse hinausschüttet. Oder, der Klassiker hier bei uns, sich die Teller, Tupperdosen, Töpfe selbständig machen, weil arglos irgendwo abgestellt, wo gerade keine Ant-Rutsch-Matte liegt...

Ich schweife mal wieder ab. Für mich stelle ich fest: die Weite des Ozeans ist faszinierend, nicht beängstigend. Bis zum Horizont immer nur Wasser - kein Problem. Im Gegenteil, es zieht mich an, am liebsten würde ich jeden Tag hinein und eine Runde schwimmen. Klar, wir haben Glück bisher mit dem Wetter, keine extremen Bedingungen. Aber es würde wohl nicht wirklich etwas ändern...

Das Meer ist wie ein großes Gemälde. Ein lebendiges. Da es ständig in Bewegung ist, wird es nie langweilig, hinauszuschauen auf die Wellen. Ständig entstehen neue, und schon verlaufen sie wieder. Einerseits kaum eine Struktur erkennbar, andererseits große Harmonie ausstrahlend. Da laufen kleine in große, spitze tanzen auf runden, die wie wandernde Hügel oder Dünen gemächlich darunter hinweg rollen, hin und wieder baut sich eine zu beachtlicher Größe auf. Bei stärkerem Wind mischen sich unzählige Schaumkronen und -krönchen hinein. Darüber - wenn man Glück hat, ein fliegender Fisch. Hin und wieder sogar ein Vogel, meist Möwenartig...

Wenn ich achtern auf der Badeplattform sitze, möglichst noch die Füße im Wasser, bauen sich bei stärkeren Windlagen die acherlichen Wellen so auf, dass ich das Gefühl habe ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Dann ducken sie sich unter mir weg, unter dam Schiff, und es folgt ein Wellental, mal tief und kurz, mal lang und flach. Meist dauert es eine Weile, bis sich wieder eine bis auf Augenhöhe heranwagt.
Am Ruder ist es ähnlich. Große achterliche Wellen heben das Schiff achtern in den Himmmel. Ich schaue über 54 Fuß bergab in das Wasser, das manchmal bis zum Ankerbeschlag steht. Nie schneidet der Bug hinein. Immer hebt die Welle ihn sanft, fast zärtlich wieder hoch. Das ganze auch mal umgekehrt. Der Bug wird gehoben,steigt und steigt(heben wir gleich ab oder was?), um dann in einen Teppich aus Gischt zu sinken, die vor dem Schiff dahinläuft - ähnlich den Delphinen, wenn sie uns zeigen wollen, wer hier der schnellere ist.

Ein anderes Phänomen, die Wolken. Von den Squalls haben wir berichtet. Meist umgeben uns jedoch Cumulus-Wolken, weiße Wolkengebilde, an denen sich jederzeit die Phantasie entzünden kann. Da sind die berühmten Schäfchen, aber auch Schlangen, Drachen, Schlößchen - ich sah ein riesiges Herz, eine Art Labyrinth, die verschiedenen Wolkenstockwerke wie im Lehrbuch. Auch bedrohliche, pechschwarze, gewaltige, an Gebirge erinnernd.

Morgens kurz vor Sonnenaufgang hatten wir schon häufiger diese ausgedehnten schwarzen Wolken am Horizont, ihn fast ganz ausfüllend. Dann ahnt man dahinter die Sonne. Mit ihrer Kraft beginnt sie, die Wolken zu zerteilen. Bohrt sich zunächst ein Loch hindurch. Und wenn sie dann aufgegangen ist triumphiert sie über ein Wolkenband, das sich den Horizont entlangzieht, kleine dunkle Wölkchen, aufgereiht wie
Fahrzeuge in einer morgendlichen , sich auflösenden Rush-hour.

Für mich gehört das alles zur Faszination des Atlantiks. Etwas, was ich so nicht erwartet hatte. Und was ich euch, die ihr uns auf dieser Reise von zu Hause aus begleitet, nicht vorenthalten wollte.

Zurück zum Alltag: "Gibt es jemanden, der noch etwas mit Süßkartoffeln machen wollte", ruft der Proviantmeister hinter mir. Er checkt mal wieder die Vorräte. Und erntet eine Reihe von Vorschlägen, was man alles noch kochen könnte mit den Resten. Denn wir sind schon an dem Punkt angekommen, wo die Zutaten zu den geplanten Gerichten irgendwo anders verbraucht wurden und wir improvisieren müssen. Und dazu durchaus mal mehr Meinungen als Möglichkeiten haben. Aber am Ende haben wir noch immer was feines gezaubert. Heute abend gibt es Labskaus - ohne Hering und Gewürzgurken, aber mit Sicherheit: lecker!

Ja, mit Riesenschritten nähern wir uns dem Ziel. Vorgestern schon haben wir die Marken "1.000 sm zum Ziel" und "2/3 der Strecke" geschafft. Die letzten Starkwindtage haben uns echt vorangebracht.

Heute vormittag haben wir den Spibaum umgesetzt und gehalst, um Kurs direkt auf Saint Lucia zu nehmen. Wir strecken uns nun direkt dem Ziel entgegen. Nur noch um die 800 sm liegen vor uns...

Autor: Wolfgang


















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