Gestern war die voraussichtlich vorletzte Nacht auf dem
offenen Atlantik. Morgen Abend wollen wir unser Ziel erreicht haben. Aber diese
Nacht hatte es “in sich”. Und allem Anschein nach wird auch die nächste noch
einmal deftig. Die erste Nachwache erwischte es aus heiterem Himmel. Gerade noch
nächtliches, schnelles Sommersegeln mit Wind von hinten und innerhalb von
Minuten war der Teufel los. Diese Squalls haben es echt in sich. Starkwind und
Regen als wenn jemand ein C-Rohr auf das Boot hält. Die Segel zu reffen und den
Kurs zu halten war gar nicht so einfach. Uwe am Steuer musste die ständigen
Winddreher ausgleichen und dabei aufpassen, dass die Wellen das Boot nicht
querschlagen. Da sie eh schon bis auf die Knochen nass waren, hat Harald der
“Hundewache” angeboten die Wachübergabe zu verschieben bis das Unwetter durch
ist. Axel, Heinz und Rainer haben gern angenommen – wird wohl in St. Lucia ein
paar Bier kosten. Hat ihnen aber auch nicht geholfen. Die drei hatten es dann
später auch noch zwei Mal mit heftigem Wind und kräftigen Schauer in Squalls zu
tun. Also auch durchweicht. Anna, Christoph und Dirk ereilte das gleich
Schicksal. Das irre ist, dass nach den Squalls der Wind rapide abnimmt. Das
führte zu mehrfachem Aus- und Einreffen. Für Helmut, der bei jedem Manöver”
Gewehr bei Fuß” stand, wahrlich eine schlaflose Nacht. Wenn man es positiv sehen
will, war es für alle die ereignisreiste Nachtwache der Überfahrt. Heute Morgen
haben wir es immer noch mit heftigem Wind und 5 Metern Welle zu tun (ist wie
Achterbahnfahren), aber die Sonne scheint und wir sind vorbereitet (haben
eingerefft). Die Wäsche trocknet an den Relingsdrähten. Ab Mittag ist noch
einmal mit mehr Starkwind zu rechnen, der uns bis ins Ziel begleiten wird.
Vielleicht schaffen wir dadurch die Zieldurchfahrt am Montag doch noch bei
Tageslicht.
Gestern gab es wieder frisch gefangenen Fisch, aber keiner
hatte mehr so richtig Appetit. Seit dem wir unsere Ankunftszeit wissen, wird
auch nicht mehr so sehr auf Rationierung geachtet. Wir haben in den letzten
Tagen gut gewirtschaftet und wissen, dass wir mit Lebensmitteln und Wasser
auskommen werden – gutes Gefühl. Gemeinsam haben wir deshalb entschieden, keine
Angel mehr ins Wasser zu werfen. Wir wollen einfach keine Lebewesen fangen und
töten, die dann eventuell nicht verzehrt werden.
Die Vorbereitungen für den Zieleinlauf laufen. Heute wird
die Flaggenparade in der gewünschten Formation geknüpft. Ist bei dem Wellengang
gar nicht so einfach. Die Karten für die Passage rund um die Inseln sind auf den
Plotter gespielt und erste Gespräche über den Ablauf der Zieleinfahrt erhöhen
die Vorfreude. Auch zeittechnisch sind wir vorbereitet. Obwohl der 60.
Längengrad noch nicht ganz erreicht ist haben wir die Borduhr wieder um eine
Stunde angehalten und somit jetzt 5 Stunden Differenz zu Deutschland. Damit sind
wir jetzt auch auf St. Lucia-Zeit.
Also: Die Vorfreude steigt und wir passen auf, das uns in
den letzten 36 Stunden der Starkwind keinen Strich durch die Rechnung macht
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Rainer