can we help
+44(0)1983 296060
+1 757-788-8872
tell me moreJoin a rally

Menu

Hector - Tag 20 - Wunder der Natur



15°38,9N 51°47,8W

Während diese ersten Zeilen entstehen, ist es noch Nacht. Eine sternenklare Nacht. Eine sternenklare Nacht mitten auf dem Atlantik, wo kein Stadtleuchten den Blick trübt. Diesen Anblick in Worte zu fassen fällt schwer.

Thomas sitzt am Steuer. Ich habe es mir im Cockpit gemütlich gemacht, in unser aller Lieblingsecke. Der Rücken angelehnt an die Salonwand, Blick zum Heck (nach hinten) raus. Aufgabe desjenigen, der hier während der Nachtwache sitzt, ist es normalerweise, den Rudergänger zu unterstützen und die Seite, die vom Steuerstand aus nicht einsehbar ist, im Blick zu behalten. Ausschau zu halten nach Bandits (so nennen wir andere Schiffe, die sich unserem Kurs nähern), die am Horizont auftauchen könnten. Den Himmel zu beobachten und die Wolkenformationen, in welche Richtung diese ziehen, ob sie eventuell Regen und Wind mit sich bringen und wir rechtzeitig reffen (Segel einholen) müssen. Normalerweise eine machbare Aufgabe, die allein etwas Konzentration und einen wachen Geist erfordert.

Nur heute fällt das Beobachten schwer. Zum einen ist weit und breit kein Bandit in Sicht (was gut ist) und kaum Wolken am Himmel (was noch besser ist). Aber vor allen Dingen ist es der Himmel selbst, der mich ablenkt. Egal wohin mein Blick schweift, es funkelt und leuchtet hell. Und sieht aus als hätte jemand eine dunkelgraue Wand mit tausenden von kleinen weißen Punkten versehen, ohne System angeordnet, wild durcheinander gesprenkelt. Große und kleine Sprenkel, helle und schwache... soweit das Auge reicht. Wahrscheinlich auch viel weiter hinaus, dahin, wohin wir nicht mehr blicken können und was unsere Vorstellungskraft nicht mehr zu fassen vermag.

Es wirkt als würden wir uns unter einer Glocke bewegen, ähnlich einer überdimensionalen Käseglocke, einer Käseglocke aus Sternen. Am unteren Rand der Glocke ist ein dunkler Rand. Hier sind keine Sterne sichtbar, das Funkeln verschwindet hinter einer Nebel ähnlichen Wand. Das hat wohl irgendwas mit der Atmosphäre, Lichtbrechung o.ä. zu tun. Für mich zu hoch gerade, daher konzentriere ich mich lieber weiter auf den Aus(An-)blick. Der dunkle Rand geht über in den Horizont des Meeres. Sieht aus wie eine Kante, die Himmel und Wasser trennt. Leicht vorstellbar, dass die Menschen früher dachten, die Erde wäre eine Scheibe.

Der Blick zum Heck hinaus wird beleuchtet von Venus, dem Planeten, der uns seit Beginn unserer Reise verfolgt. Und von dem wir ursprünglich dachten, es wäre ein Schiff. Denn Venus steigt erst im Laufe der Nacht auf, erscheint urplötzlich und strahlend hell am Horizont, spielt dem Auge des Betrachters einen Streich und wird erst nach ein paar Minuten als Himmelskörper deutlich erkennbar. Unser persönliches Geisterschiff, das wie die Black Pearl in Fluch der Karibik aus dem Nichts der Wolken auftaucht. Mittlerweile kennen wir aber die genaue Planeten-Position und warten nur darauf, wer Venus zuerst entdeckt.

Mein Blick wandert wieder über Steuerbord hinaus zum Himmel und verharrt an einer Stelle. Es dauert keine zwanzig Sekunden und dann - ein helles Aufflackern, ein Lichtstrahl, der genauso schnell verglüht wie er aufgetaucht ist. Wünsch dir was!
Denn heute ist die Nacht der Sternschnuppen. Eigentlich die Nacht der größten Meteoritendichte, die nur einmal jährlich im Dezember sichtbar ist. Als Sternschnuppe bezeichnen wir im Sprachgebrauch fälschlicher Weise alles, was am Himmel kurz erscheint, einen Schweif nach sich zieht und verglüht.

Da ich den Unterschied aber auch nicht erkennen kann und an Sternschnuppen glaube, sende ich brav bei jeder Sichtung meinen Wunsch ins Universum. Zumindest anfänglich. Je länger ich in den Himmel schaue, in die tausende und abertausende von Lichtern, desto mehr funkelnde Schweife tauchen auf. Mir gehen die Wünsche aus. Ich schaue nur noch gebannt, genieße dieses Wunder der Natur, lasse meine Gedanken im Takt der Sternschnuppen schweifen. Ein Gedanke kommt und verfliegt genauso schnell wieder. In mir ist eine Ruhe und Zufriedenheit wie ich sie lange nicht mehr verspührt habe.

Und Demut und Dankbarkeit. Demut vor der Natur, dem Universum, all dem, was wir sehen, uns vielleicht physikalisch wissenschaftlich erklären können, aber doch nie ganz begreifen werden. Dankbarkeit, all das erleben zu dürfen und gesund zu sein. Dass die Crew gesund ist, das Schiff uns bisher sicher trägt, wir traumhafte Wetter- und Segelbedingungen haben. Nie waren Aussagen wie "Das übersteigt meinen Horizont" und "Wir sind alle nur ein ganz kleiner Stern am Firmament" wahrer als in diesem Moment.

Mittlerweile ist die Dunkelheit verflogen und mit ihr die meisten Sterne und Schnuppen. Die blaue Stunde schlägt, die Morgendämmerung bricht sich langsam Bahn. Aus dem dunklen Streifen zwischen Sternen und Meereskante ist ein hlles blaues breites Band geworden. Gleich wird sich der Himmel einfärben, im Osten beginnend. Dann wird das Dunkel der Nacht vertrieben und die Welt um uns rum zunächst in rötlich schimmerndes Licht eingefärbt. Die Sonne kommt und mit ihr ein neuer Tag mit neuen Wundern der Natur.

Da ein Bild der Sterne zu schießen bei dem Geschaukel etwas schwierig wäre, gibt es zu diesem Artikel immerhin eins des Sonnenaufgangs. "Here comes the sun, little Darling".

Bless & love und DANKE,
Katrin
SY HEctor
Sail & Chill



tag20_sunrise

Previous | Next