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Angkor - Tag 13: Das Ziel



St. Lucia ist geografisch das Ziel. Das rückt näher, einschließlich der Gedanken, was man denn nun da macht und wann wir eigentlich ankommen – es ist heutzutage ziemlich ungewohnt, nicht einmal das Datum zu kennen.

Ansonsten haben wir drei festgestellt, dass wir keine Ziele mit der Reise angestrebt haben. Die Reise selber ist das Ziel. Dabei ist es für mich kein Ziel im typischen Sinne, denn ein Ziel muss messbar, überprüfbar sein.

Daher hat die Reise eher experimentellen Charakter. Was passiert mit mir, wie fühle ich mich? Tauchen vielleicht Ziele auf, die ich anstreben möchte?

Das Klischee ist ja, dass man sich auf dem Meer so frei fühlt. Das ist objektiv betrachtet ja ziemlich absurd, denn man ist alles andere als frei: Ich kann nirgends hingehen, kann mir nicht aussuchen, mit wem ich spreche, kann niemanden der treffen, der nicht gerade an Bord ist. Ich kann ja nicht mal das Buch lesen, dass ich lesen möchte, außer ich habe es mitgebracht. Auch die Tätigkeiten sind sehr eingeschränkt: Ich kann nicht mal laufen gehen und lustigerweise nicht mal schwimmen.
Von Freiheit kann also keine Rede sein, aber gerade das erlebe ich als beruhigend. Die Wahlmöglichkeiten sind sehr reduziert. Wenn ich nicht gerade Wache habe, reden wir, essen wir, sehe ich einen Film oder ich lese. Und wenn ich das alles nicht tue, schlafe ich normalerweise. Ich schlafe hier sehr gut, besonders gemessen an den vielen Geräuschen und dem Lärm, dem nächtlichen Aufstehen und der Wärme. Ansonsten flüstert es einem immer ins Ohr, was man vielleicht gerade an Veranstaltungen verpasst, was an Arbeit noch rumliegt, was man gern noch schnell im Internet nachschauen würde, was man gern noch einkaufen möchte, dass man eigentlich mal Sport machen sollte, jemanden besuchen sollte, jemanden anrufen sollte, aufräumen sollte, zur Vorsorge gehen sollte, was reparieren sollte. All diese Sachen werden ruhig und daran ändert das Rauschen des Wassers unterm Boot nichts Entscheidendes.

Aber was ist der Nutzen des Experimentes soweit? Auf dem Wasser kann ich ja nicht ewig bleiben und will das auch keineswegs. Mein vorläufiges Fazit hieraus ist, dass Zeitbudgets dabei helfen sollten. Wenn ich einfach bestimmten Bereichen meines Lebens bestimmte Zeiten zuordne, verliere ich auch Freiheit, gewinne aber Ruhe. Es ist ein zumindest erwägenswertes „Geschäft“. Fraglich bleibt, ob das funktioniert. Die Möglichkeiten bleiben ja tatsächlich da und hier sind sie tatsächlich weg. Die unglaublich vielen Wahlmöglichkeiten werden von mir und vielen anderen als Belastung empfunden. Das anzuerkennen, bedeutet nicht auch zu sehen, dass diese große Freiheit in erster Linie ein sehr großes Privileg ist.

Seit Beginn der Reise rauche ich nicht und trinke keinen Alkohol. Auch hiermit verband ich kein Ziel, sondern es ist ebenfalls ein Experiment. Aufs Rauchen zu verzichten, hat mir kaum Schwierigkeiten gemacht und der Alkoholverzicht hat sich wie schon gesagt völlig problemlos und geradezu selbstverständlich angefühlt. Rauchen und trinken tue ich anscheinend viel mehr aus gesellschaftlichen Gründen, als mir bewusst war.

Ich habe diese Segeltour hauptsächlich als innere Reise begriffen, aber natürlich findet auch draußen etwas statt. Wir haben einen großen Wahoo gefangen. Dazu haben wir zwei Köder durch Bisse und reißende Leinen verloren, die jetzt bei zwei Fischen im Maul hängen, die damit durch das Meer schwimmen. Hier haben wir genug Zeit, um daran auch die ganz großen Themen zwischen Mensch und Tier aufzuhängen. Praktisch leidet das Angeln aber mehr an Unmengen Seetang, der im Wasser herumtreibt. Es ist uns allen rätselhaft, woher der kommt. Der Seetang beißt allerdings sofort an der Angel an und an Fischen ist daher nicht zu denken.


Als ich gestern aufgewacht bin, staunte ich nicht schlecht darüber, neben meinem Bett einen toten Fisch zu finden. Der muss mehrere Meter übers Deck geflogen sein, dann durch die Deckenklappe neben meinem Bett geplumpst sein und dort ist er dann leider erstickt. Solche fliegenden Fische haben wir schon einige an Deck gehabt. Leider schmecken sie nicht und sind meist schon tot, wenn wir sie finden.

Wir kommen weiter sehr schnell voran, aber leider sind drei Boote noch schneller unterwegs gewesen, so dass wir jetzt auf den 13ten Platz in der Gesamtwertung zurückgefallen sind und 4ter in unserer Klasse sind. Der dritte ist ca. 100 Meilen vor uns und die letzten zwei, drei Tage haben wir schon rund 100 Meilen aufgeholt. Wir geben weiter Gas!

Daniel Debes, S/Y Angkor, 1.011 Meilen vor St. Lucia, 01.12.2017


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